Was für ein herrlicher Tag. Die Sonne scheint. Hertha spielt und empfängt den FC Bayern zu Hause im eigenen Stadion. Es sind noch gut 3 Stunden bis Spielbeginn, dennoch machen sich schon jetzt unzählige Berlinerinnen und Berliner auf dem Weg ins Hertha Stadion. Keiner will auch nur einen Moment der Faszination, die vom neuen Stadion ausgeht verpassen.
Wir steigen wie immer am S Bahnhof Olympiastadion aus. Mit schnellem Schritt zieht es mich und meine Kumpels weiter. Schließlich bietet das neue Stadion genug Gelegenheit, im Herthaeigenen Biergarten ein passendes Kaltgetränk zu sich zu nehmen.
Das war es aber nicht, weshalb wir unseren angestammten Treffpunkt direkt am S Bahnhof verlassen haben.
Vielmehr nerven an diesem Tag die unzähligen Bayern Fans- wie vorher schon beim letzten Spiel gegen Dortmund deren Anhänger- die sich am S Bahnausgang bereits schon am Vortag mit ihren Schlafsäcken eingefunden haben um noch eine Gästekarte zu erhaschen. Diese Fans standen in Zweierreihen Spalier und bettelten jeden vorbeigehenden an, sie mögen Ihnen doch eine Karte für das Spiel verkaufen. Gerne auch zum vielfachen des Originalpreises.
Einer ist besonders penetrant und jammert uns an „das Gästekontingent ist mal wieder ausverkauft und er wäre doch extra aus Sachsen angereist, um seinen FC Bayern zu sehen.“
Kaum ist er weg, kommt einer aus Sachsen-Anhalt, dann eine aus Prenzlauer Berg und so geht es in einer Tour weiter.
„Früher“ so höre ich sie in schöner Regelmäßigkeit heulen, „war doch alles besser. Schließlich konnte man damals fast überall sitzen, man hatte die akustische Hoheit und eine Karte gab es auch immer.“
Mein Mitleid hält sich jedoch in engen Grenzen. Zu sehr haben diese Fußballkonsumenten jahrzehntelang die Stimmung im Olympiastadion getötet. Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, auch in den Spielen gegen die Bayern und den Dortmundern im eigenen Stadion auf den Rängen die Oberhand zu haben und gemeinsam mit tausenden Herthanerinnen und Herthanern meinen Herzensclub zum Sieg zu tragen.
Mein Weg führt an unserer alten Spielstätte dem Olympiastadion vorbei, das trotzig unseren Auszug überstanden hat. Die Einnahmen aus mehreren Musikkonzerten im Jahr, Papstbesuchen, Turn- und Sportfesten, Breitensport, internationale Treffen und alle paar Jahre einmal ein großartiges Leichtathletikevent für die rund 30.000 Leichtathletikfreunde in unserer Stadt, die neben dem Olympiastadion auch noch mit dem Jahnsportpark über beste Leichtathletik-Event-Bedingungen verfügen, ermöglichen nicht nur das finanzielle Überleben, nein das ehrwürdige Oly macht sogar Gewinn. Sportstadt Berlin, wie lieb ick Dir.
Als ich also an unserer alten Spielstätte vorbei ging, sprang mir, wie zum Beweis ein Plakat ins Auge:
23.08.2025 Olympiastadion Berlin, weltweites Symposium der Denkmalschützer.
Thema: Denkmalschutz und Funktionalität am Beispiel des Berliner Olympiageländes.
Nicht mehr weit, schießt es mir durch den Kopf. Gleich hinter dem Olympiastadion, direkt auf dem Maifeld liegt es, mein Objekt der Begierde. Das wohl schönste Fußballstadion der Welt. Schon von weiten konnte man es Dank der blauweißen Beleuchtung erahnen.
Das Hertha Stadion schön symmetrisch auf der Sichtachse zwischen Glockenturm und Olympiastadion eingebettet. Dezent in die Tiefe des Berliner Sandes eingegraben, die architektonische Elemente des Funktionalismus aus Zeiten der ersten Demokratie auf deutschen Boden mit Materialien der Fassade des Olympiastadions verbindet.
Die Inspiration, durch das „San Mamés“ in Bilbao lässt sich aber nicht ganz leugnen. Sie ist gewollt.
Eine wunderbare Symbiose. Kein Fremdkörper. Kein Stadion von der Stange, Keine Betonschüssel, sondern eine gefühlvolle Verneigung vor dem ehrwürdigen Olympiagelände und eine Formensprache, die die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes erkennen läßt. Einfach schön!
Aber das ist es nicht, was mich immer wieder in Verblüffung versetzt. Vielmehr ist es dieser Überraschungseffekt. Das Stadion müsste jetzt, 1 Stunde vor Spielbeginn gut gefüllt sein aber Dank des Baukörpers ist davon außerhalb des Ovals nicht viel zu hören. Draußen ist es wesentlich ruhiger als es zu besten Zeiten im Olympiastadion jemals war. Dies bestätigen auch immer wieder die Anwohner der Sportforumstraße. Sie berichten, das sie auf Grund der ungewöhnlichen Ruhe, die gerade bei Abendspielen vom Hertha Stadion ausgeht, an Einschlafstörungen leiden. Einige haben sich, um den „Entzugserscheinungen“ zu begegnen, sogenannte „musikalische“ blauweiße Traumfänger aus dem nahe gelegenen Fanshop besorgt und über die Betten gehängt. Im 5 Minutentakt beschallt nun „Nur nach Hause gehen wir nicht“, die Schlafzimmer der Wohnungsgenossen.
Doch dann war es endlich soweit. Ich hatte Herthas neuen Fußballtempel – unser Wohnzimmer, endlich erreicht. Nach den Einlasskontrollen, ging es vorbei am Hertha Museum und an den Goldplaketten der Investitionsbank Berlin. Die Plaketten, wurden Hertha verliehen, da der Neubau und das somit aufgewertete Olympiagelände, jährlich zusätzlich zigtausend finanzstarke Touristen nach Berlin zieht. Berlin brummt!
Kaum betrete ich das innere des Stadions, kam es wieder zu diesen Momenten, an die ich mich erst einmal gewöhnen muss.
Von außen wirkte das Stadion wegen seiner hervorragenden Berücksichtigung des Lärmschutzes, eher leise. Innen wurde das bauliche Schmuckstück dann schlagartig zum Tollhaus. Die Ostkurve gab bereits weit vor Spielbeginn ihr Bestes. Die Akustik war überwältigend. Vor mir standen zwei Kinder die mit großen Augen diese überwältigende Stimmung in sich aufsogen. Es schien so, als hätten die zwei das Atmen eingestellt. Auch diese Bengels kommen wieder, schoss es mir durch den Kopf.
Das Stadion bebte schon jetzt, Eine Stunde vor Spielbeginn.
Aus der Gästekurve konnten Lippenleser ein zaghaftes „Bayern“ aus den 5000 Kehlen jener Gästekontingent-Fans vernehmen.
Das Spiel begann, was dann folgte, war eine einzige klangvolle Aneinanderreihung von Melodien und Akustik gewordener Emotion. Immer wieder durch den ältesten Anfeuerungsruf der Fußball Bundesliga unterbrochen, dem markerschütternden „Ha Ho He“, das aus über 50000 Kehlen vorgetragen, selbst gestanden Championsleaguespielern unter den Gästen das Blut gefrieren lassen.
Die einen nennen es eine riesige Party die alt, jung, Neu- und Alt-Berliner, West und Ost vereinigt. Andere nennen es schlechthin „Hertha“.
Meine Hertha gewann übrigens mit 3:0. Das war aber Nebensache. Im Stadion feierte sich Berlin und Berlin feierte Hertha.
Obwohl das neue Stadion bestens an den ÖPNV angebunden ist und die Zuschauer zügig nach Hause transportiert werden könnten, verharren noch weit nach Spielende Tausende auf ihren Plätzen und feiern Hertha, sich selbst und unsere wunderschöne Stadt.
Zugegeben, in einigen anderen Stadien, verbleiben die Zuschauer ebenfalls nach Spielende auf ihren Plätzen, doch dies geschieht nicht ganz freiwillig. Hier will man dem Stau und dem Gedränge z.B. an der Straßenbahn ein wenig entkommen.
Nicht nur auf den Rängen wurde noch weit nach Spielende gefeiert, auch im VIP Bereich ging die Party ab. Tummelten sich doch dort zahlreiche Politiker aller Parteien, die in jede Kamera und jedes Mikrofon ihre Message nach außen brachten, “sie waren ja schon immer für den Neubau“ und das „Berlin, Hertha BSC braucht.“ Ja Ja denke ick so in mir rin. Eene Stadt wie Berlin, benötigt eben Visionäre…..
Gut, dass ich Freunde habe, die mit mir und meiner Hertha durch dick und dünn gegangen sind. Mit denen gehe ich jetzt weiter feiern. Wieder vorbei an Bayernfandarstellern aus allen Bundesländern, die gerade ihre Schlafsäcke einrollten.
Einige Denkmalschützer verließen gerade das Olympiastadion. Das Symposium schien ebenfalls zu Ende gegangen zu sein. Einer sagte zu seiner Begleitung, „Berlin hat es verstanden, den Denkmalschutz mit den modernen Anforderungen zu kombinieren. Wer hätte das 2019 gedacht.“ Dann fragte er mich noch, wie er an Gästekarten für das nächste Spiel gelangen kann.
Ich holte kurz Luft und rief ihm mit dem Rest meiner Stimme entgegen.
Ha Ho He